TABU-BLOG – Beitrag #7
TABU-Tagebuch Indien
Willkommen zu #7 des TABU-Tagebuchs zu meiner Indien-Reise
In Beitrag #6 habe ich berichtet, wie der Tag vor Beginn des Meditations-Retreats verlaufen ist und durch welche emotionalen Höhen und Tiefen ich gegangen bin.
Solltest du Beitrag #1 bis #6 nicht gelesen haben, empfehle ich dir das noch zu machen, bevor du diesen Blog-Beitrag liest.
Hier kommst du zum Blog-Beitrag #1.
Hier geht’s zu Blog-Beitrag #2.
Hier geht’s zu Blog-Beitrag #3.
Hier geht’s zu Blog-Beitrag #4.
Hier geht’s zu Blog-Beitrag #5.
Hier geht’s zu Blog-Beitrag #6.
Falls du mich und meine TABU-Themen noch nicht kennst, empfehle ich dir hier und hier nachzulesen, bevor du diesen Blog-Beitrag liest.
TABU-Letter
Der Newsletter für deine TABU-Themen
Melde dich hier zum Tabu-Letter an und erfahre als Erstes von neuen Blog-Beiträgen und was wir als Nächstes planen.
Tabu-Tagebuch Indien #7
Tagebuch zur Reise von München nach Delhi & Jaipur
Reiseziel: 10-Tages Vipassana Meditations-Retreat
Fazit Beitrag #7: Was kannst du hier für dich lernen?
Schuld- und Schamgefühle sind Ausdruck unseres Selbstwertgefühls. Oft wissen wir nicht, wie es um unser Selbstwertgefühl steht, bevor wir in Trigger-Situationen geraten.
Heute wurde ich stark mit meinem Selbstwertgefühl konfrontiert und gemerkt, wie klein es sein kann.
Denn, ich bin in zwei „Selbstwert-Fallen“ getappt.
1. Selbstwert-Falle #1: Erhalten wir ein kostenfreies Angebot oder wird uns etwas geschenkt, MÜSSEN wir keine Gegenleistung erbringen. Denn so ist es vom Schenkenden nicht gedacht. Wir KÖNNEN im Gegenzug etwas geben, aber nicht aus dem Gefühl der Schuldigkeit heraus. Nur weil wir etwas geschenkt bekommen, stehen wir nicht bei jemand in der Schuld. Werden wir uns darüber klar, dass wir es wert sind etwas geschenkt zu bekommen. Jemand anderes schätzt uns damit wert. Warum sollen wir das nicht genießen?
Übrigens: Zwanghaftes Revanchieren ist wie zwanghaftes Schenken ein zwanghaftes Verhalten und zeigt, wie niedrig der eigene Selbstwert ist. Denn, durch diese beiden Verhaltensweisen möchte ich die Anerkennung, Aufmerksamkeit und Gunst des anderen gewinnen. Unser Selbstwert bemisst sich aber nicht daran, ob wir einmal etwas zurückgeben, sondern daran, wer wir generell SIND. Durch zwanghaftes Schenken und Revanchieren möchten wir tatsächlich den eigenen Selbstwert vor uns und vor anderen erhöhen und uns über das definieren, was wir leisten und für andere tun.
2. Selbstwert-Falle #2: Wenn uns jemand einlädt, dürfen wir frei wählen wofür wir eingeladen werden. Warum sollten wir das günstigste von einer Speisekarte wählen, aus Angst jemandem zur Last zu fallen? Wir können intuitiv entscheiden, worauf wir Lust haben und der Einladende möchte uns ja eine Freude machen.
Welche Freude macht uns jemand, wenn wir aus einem Selbst-Mangel-Gefühl heraus das billigste wählen, auf das wir keine besondere Lust haben?
Beitrag #7 – Tag 11 – 2.1.2023: Aus der Stille entlassen …
Als wir aus dem Schweigen entlassen wurden, war die angenehme Stille schnell Geschichte, aber ich war überwiegend froh wieder mit anderen Menschen sprechen zu dürfen. An den Männern war ich nicht interessiert, die natürlich auch bald auf dem Gelände präsent waren. Und natürlich bildete sich schnell eine lange Schlange vor dem Abholpunkt für die Mobiltelefone und anderen „belongings“. Trotz aller Möglichkeiten und Anfragen zur gegenseitigen Vernetzung wollte ich meine morgige Abreise organisieren. Beim Mittagessen kam mit meiner Tischnachbarin ins Gespräch und ich freute mich sehr, endlich das Eis mit ihr brechen zu können. Wir hatten 10 Tage lang im Speisesaal nebeneinander gesessen, zu jeweils 3 Mahlzeiten und uns oft auf dem Gelände und in der Dhamma Hall bewusst angesehen. Bereits nach wenigen Sätzen wurde mir beschämend klar: Ich hatte ihre Blicke irrtümlicherweise die ganze Zeit lang falsch interpretiert, in der Annahme sie würde dabei ständig mein Äußeres bewerten und verurteilen. Im Gespräch mit ihr fand ich endlich Erlösung von den hartnäckigen, mir eingebildeten Verurteilungen meiner Person ihrerseits. Im Gegenzug konnte auch ich meine Vorurteilen ihr gegenüber als Person ablegen, denn sie war mir sehr wohlgesonnen!
Sie war in Delhi geboren worden, jedoch im Alter von 6 Jahren mit ihrer Familie in die Schweiz in die Nähe von Zürich gezogen, wo sie heute lebt und arbeitet. Ihre Familie hat eine Wohnung in Delhi und sie machte diesen Meditations-Retreat gemeinsam mit ihrer Mutter. Morgen würden sie nach Delhi zurückfahren, wo sie ein paar Tage blieben bevor sie in den Urlaub nach Südindien fliegen würden. Wie spannend! Die Begegnung mit ihr war sehr augenöffnend für mich. So sehr hatte sie mir meine negativen Glaubenssätze und Denkmuster vor Augen geführt und von den 200 Frauen im Retreat hatte ich 10 Tage lang ausgerechnet neben ihr gesessen, mit der ich mich jetzt auf Deutsch unterhielt und sie sprach dabei in einem merklichen, sehr sympathischen Schweizer Akzent.
Ich ich unterhielt mich mit 8 weiteren jungen indischen Frauen, von denen keine eine ähnliche Vita hatte wie meine ehemalige Sitznachbarin, die ich nachfolgend N. nenne.
Vom Schenken und Annehmen
Für ihre Rückfahrt nach Delhi hatten N. und ihre Mutter einen Fahrer engagiert, den sie schon seit Jahren kannten und bereits für viele Fahrten gebucht hatten. Er würde die beiden innerhalb von 3 bis 4 Stunden im PKW nach Delhi fahren. Da auch ich morgen nach Delhi zurück wollte, boten sie mir an, mich mitzunehmen. Da mein Zugticket zurück nach Delhi noch auf der Warteliste (Status: waitlisted) auf Platz 24, beschloss ich es zu canceln und sagte N. und ihrer Mutter stattdessen zu mich mitzunehmen. In Indien gibt es ein festes Kontingent an Plätzen im Zug. Ist dieses ausgeschöpft, kann man sich kostenfrei auf die Warteliste setzen lassen und das Ticket jederzeit bis zum Abfahrtstag stornieren.
Nachdem ich N. und ihrer Mutter zugesagt hatte, fühlte ich mich wieder schlecht und schuldig, weil ich ein kostenfreies Angebot wahrnahm ohne etwas dafür zu bezahlen oder zu geben. Der Grund für meine Schuldgefühle liegt darin, dass ich mich selbst für geizig hielt und weil ich unterbewusst dachte, ich sei es nicht wert etwas geschenkt zu bekommen. Das war Selbstwertfalle #1. Deshalb mache ich mir ständig den Druck etwas „in return“ geben zu müssen und fühle mich elend, wenn ich es dann nicht tue. Weil ich glaube, dann geizig gewesen zu sein, obwohl ich tatsächlich nur etwas angenommen hatte, das mir bewusst, freiwillig und aus gutem Willen geschenkt geworden war. Ich litt also unter Revanchierungs-Zwang. Trotzdem nahm ich das Angebot der beiden gerne an, da ich mich sehr wohl in ihrer Gesellschaft fühlte. Sonst hatte ich bisher kaum Gesellschaft gehabt.
Als wir unterwegs an einer Raststätte hielten, lud mich die Mutter von N. auch noch ein. Obwohl ich zu N. noch gesagt hatte, wie sehr ich Kaffee verehre, trank ich in der Raststätte nur einen Tee, den günstigsten für 15 Rupien. Auch mit dem Wissen, dass mich N.’s Mutter einlud, bestellte ich den Tee. Denn, ich war geizig mit mir selbst UND wollte noch dazu niemandem zur Last fallen. Das war Selbstwertfalle #2.
Die Fässer und die Lagerhalle
Deshalb war ich auch nie ein sog. „Problemkind“ oder schwer erziehbar gewesen; denn das hatte ich mir nie erlaubt. Ich hatte Konflikte mit Mitschülern und Gleichaltrigen, Demütigungen und Mobbing-Erfahrungen nie zuhause erzählt und wenn ich überhaupt darüber geweint hatte, dann allein. Ich hatte immer alles mit mir ausgemacht. All diese Erfahrungen und zugehörige Gefühle hatte ich unterbewusst in großen Ölfässern auflaufen lassen und in einer riesigen Lagerhalle weggesperrt. Die Fässwar waren bereits allesamt voll und durch ihre hoch-giftigen Inhalte waren Löcher und Risse entstanden, so dass sie ausliefen. Aber wohin mit der ganzen „Suppe“, die ich mir selbst gekocht hatte. Meine selbst erschaffene Lösung zur Bewältigung negativer Gefühle und Erlebnisse war seit mehr als 10 Jahren die Strategie „Aufessen und die Toilette hinunter spülen“. Und obwohl mir der Meditations-Retreat sehr gut getan und mir tatsächlich mental und körperlich entspannt hatte, konnte ich diesen Kreislauf aus Essen und Erbrechen dort nicht auflösen. Im Gegenteil, von 10 Retreat-Tagen hatte ich es an nur 3 Tagen geschafft mich bei den Mahlzeiten nicht zu überessen und danach in die Toilette meiner Zelle zu übergeben. Natürlich habe ich mir jedes Mal große Vorwürfe gemacht, dass ich das gute Essen (und es war wirklich sehr gut!) so veruntreut hatte, aber meine Sucht war 7Mal stärker gewesen als ich.
Erfahre bald in Beitrag #8, wie ich meine verbleibende Zeit in Delhi verbracht habe.