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TABU-BLOG – Beitrag #6

TABU-Tagebuch Indien

Willkommen zu #6 des TABU-Tagebuchs zu meiner Indien-Reise

In Beitrag #5 habe ich berichtet, wie mein Tag in Jaipur zu Ende ging und wie meine Vorbereitung auf die kommenden 10 Tage aussahen.
Solltest du Beitrag #1 bis #5 nicht gelesen haben, empfehle ich dir das noch zu machen, bevor du diesen Blog-Beitrag liest.
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Falls du mich und meine TABU-Themen noch nicht kennst, empfehle ich dir hier und hier nachzulesen, bevor du diesen Blog-Beitrag liest.

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Tabu-Tagebuch Indien #6

Tagebuch zur Reise von München nach Delhi & Jaipur

Reiseziel: 10-Tages Vipassana Meditations-Retreat

Fazit Beitrag #6: Was kannst du hier für dich lernen?

1. Wenn uns etwas wichtig genug ist, überwinden wir die Angst viel leichter. Bzw. wenn wir uns klar machen, wie wichtig uns eine Sache ist, sind wir viel bereitwilliger mutig zu sein und die Angst zu überwinden.
2. Dinge, die uns wichtig genug sind, lassen uns auch Suchtdruck und Heißhunger überwinden. Weil ich für eine entspannte Ankunft im Meditationszentrum und für gute Startbedingungen für meinen Retreat schaffen wollte, habe ich auf den letzten Fress-Anfall verzichtet, der mir vor dem Retreat möglich gewesen wäre. Und zeitlich hätte ich diesen auf jeden Fall noch untergebracht bevor ich zum Meditationszentrum losfahren musste.
3. Sparsamkeit ist in Ordnung, Geiz nicht. Weder mit uns, noch mit anderen nützt es etwas geizig zu sein. Heute habe ich wieder erkannt, wie weh es mir tut, wenn ich gegenüber anderen Menschen geizig bin und wie krankhaft mein Geiz mittlerweile geworden ist. Die Energie, die dabei entsteht kann gar nicht gut für mein Leben sein. Und doch glaube ich mir dadurch Vorteile für die Zukunft zu sichern. Das schlechte Gefühl, das ich in Situationen des Geizes habe, spricht allerdings für sich. Und so erhält der erdachte Vorteil doch einen sehr bitteren Nachgeschmack. Außerdem hatte ich damit bereits große Mangelgefühle in mein Leben gezogen, die mich wiederum oft gierig machen. Aber zur Gier kommen wir bei anderer Gelegenheit.

Beitrag #6 – Tag 3 – 20.12.2022: Der Tag vor Retreat-Beginn

Ich wollte diesen Retreat so sehr, dass ich darauf verzichtete weiter zu prokrastinieren: Ich duschte gründlich, wusch mir die Haare, ging mir etwas gesundes zum Frühstück kaufen, gönnte mir eine Zigarettenpause auf dem Rückweg, holte ich genug Bargeld am ATM, machte mir ein schönes Frühstück, buchte mir mein Uber noch rechtzeitig und packte sorgfältig meine Sachen zusammen. Meine Sucht hätte mir eine andere Storyline diktiert: Aufstehen, hastig oder gar nicht duschen, zum Einkaufen rennen, Suchtmitteleinkauf und eine Fress-Orgie auf den letzten Drücker und in aller Hektik, während dieser ich es irgendwie geschafft hätte, ein Uber zu buchen und meine Sachen so zusammenzuwerfen, dass ich sie auf dem Rücken und in zwei Händen tragen könnte. Obwohl ich die B-Seite meines Lebens diesmal nicht durchlebte, fühlte ich mich down. Gemischte Gefühle: Ehrfurcht, Demut, Scham, Trauer, Resignation und Hoffnung. Ich bereute, wie ich mein Leben bisher gelebt bzw. Verschwendet hatte. Ich fühlte mich instabil, emotional zerbrechlich, „nah am Wasser sitzend“. Ich ging natürlich zu früh runter in die Lobby um bald die Unterkunft zu verlassen. Ich war zumindest äußerlich bereit um abzureisen, innerlich brach mir gerade alles weg. Aber ich versuchte mich regelmäßig daran zu erinnern, wofür ich das alles hier machte und hergekommen war, wie viele Stunden Reise, Flug, Zug, Warten ich auf mich genommen hatte. Auf meinem Weg die Treppe hinunter kam mir der Concierge entgegen, der mir gestern bereits das Frühstück gebracht und mir das Zimmer gezeigt hatte. Er humpelte schwer und trug einen dicken Verband um den Kopf. Er sah wahrlich mitgenommen und lädiert aus. Ich stutzte zwar, fragte aber nicht nach. Zu sehr war ich in meinem Sog aus Sorge und Angst.
Obwohl ich das Uber gebucht hatte und vorbereitet und abfahrbereit in der Lobby meiner Unterkunft saß, kam der Fahrer nicht um mich abzuholen. Er fand die Unterkunft nicht und das WLAN in der Lobby erlaubte mir nicht mit ihm Kontakt aufzunehmen. Die Verbindung kam nicht zustande. Mein Gastgeber war gar nicht da. Aber seine Freundin, die an seiner Statt den Check-out mit mir machte und mir mitteilte, dass ihr Freund im Krankenhaus lag, da er einen Unfall gehabt hatte. Sein Vater sei auch darin verwickelt gewesen und weitaus schlimmer dran und ebenfalls im Krankenhaus. Auf einmal machte auch der humpelnde Concierge mit dem Verband um den Kopf Sinn. Ich vermutete, dass auch er Teil des Unfallgeschehens gewesen war. Schade, ich hätte mich gerne noch bei meinem Gastgeber bedankt und von ihm verabschiedet. Die Wasserflasche, die er mir bei meiner Ankunft gebracht hatte bezahlte ich nicht, sondern verbuchte sie „intern“ als Geschenk. Immerhin hatte ich sie nicht geordert. Warum sollte ich sie dann bezahlen? sagte mein geiziger Anteil. Schlussendlich cancelte mein Uber-Fahrer die Fahrt und die App suchte einen alternativen Fahrer, der sich schnell fand und bald vor der Unterkunft vorfuhr. Er lieh mir seinen Hotspot, damit ich mich per PIN verifizieren und nach der genauen Adresse des Meditationszentrums suchen konnte. Schon wieder hatte mir jemand einen Gefallen erwiesen, weil ich mir keine SIM-Karte für Indien gekauft und mich damit nicht digital versorgt hatte. In solchen Momenten frage ich mich manchmal, wofür ich eigentlich so geizte und sparsam war. Was brachte mir das ganze Geld horten und an der Leine halten im übertragenen Sinne (dieses Bild erschien mir im Geiste, wenn ich mir meinen Geiz vor Augen führte: Die schwarzen, bellenden Geldhunde an der ledernen Leine, die nicht nachgab und ihnen erfolgreich jedes Mal fast den Hals zuschnürte, wenn sie ihren „Radius“ zu verlassen versuchten. Ein grausames Bild. Wie kann daraus Reichtum entstehen? Auf welcher Ebene überhaupt? Denn wer mit Geld geizt, geizt doch auch mit anderen Dingen wie Lebensenergie, Selbstliebe, Fürsorge, Zuwendung, Interesse, Gefühlen auch?)
Der Fahrer brachte mich bis an das Eingangstor zum Meditationszentrum. Ich bezahlte ihn bar, da es anders nicht möglich gewesen war und hatte 3 Rupien zu wenig. Anstatt ihm ein gutes Trinkgeld über den vereinbarten Betrag hinaus zu geben, willigte ich ein, als er mir sagte, er wolle die kleinen Münzen nicht.
Wieder kam ich mir schäbig vor. Warum diesmal? Weil ich mich beim Geiz erwischt hatte oder weil ich glaubte, die Konvention nicht erfüllt zu haben dem Fahrer ein Trinkgeld zu geben. Oder weil ein Mensch, der ziemlich wahrscheinlich ärmer war als ich, mir Geld erlassen hatte, auch wenn es nur drei Rupien waren und damit nichts zu kaufen war. Dafür hatte ich dem Fotografie-begeisterten Security-Man 20 Rupien geschenkt, die optional gewesen waren. Und war diese Gabe ein Fortschritt für mich in meinem Geldverhalten gewesen? Oder nur die pflichtgemäße Erfüllung einer Konvention, die wie folgt lautete: Allen in ärmeren Ländern für alles Trinkgeld zu geben. Zugegeben, ja ich war geizig. Aber, ich war auch extrem unsicher, was Geldausgeben anging. Und weil ich so unsicher war, behielt ich es lieber für mich anstatt es „falsch“ zu investieren. Auch wenn ich mir damit viele Möglichkeiten nahm. Aber meine Angst davor, Geld „zu verlieren“ war enorm. Denn damit verband ich den Zwang wieder einen Job in der modernen Sklaverei ausüben zu müssen, der sich für mich sinnlos anfühlte und mich am Ende depressiv machte. Wie viele Erfahrungen ich deshalb nicht gemacht hatte und wieviele Möglichkeiten Neues zu erleben ich dadurch nicht genutzt habe, kann ich heute nicht mehr zählen. Ich betrat das Meditationszentrum. Es ging chaotisch zu, aber ich schaffte es mich anzumelden und eine Station weiter zu gelangen. Die nächste Station nach der offiziellen Willkommens- und „Check-in“-Punkt im Office des Meditationszentrums war der Speisesaal für die Damen, worin ein improvisiertes Büro für den Check-in der weiblichen Retreat-Teilnehmerinnen eingerichtet worden war. An zwei Tischen.
Die Inderinnen stellten sich nicht weniger als (Vor-)Dränglerinnen heraus als andere Kulturen wie z.B. die Türken und Griechen. Ich fragte mich, wie man noch drängeln kann, wenn man am gleichen Tag einen 10-tägigen Meditations-Retreat beginnen wird, aus dem man weder vorzeitig entlassen werden noch Einfluss auf dessen Organisation nehmen oder gar seine Abläufe beschleunigen kann kann. Von daher wunderte sogar ich mich noch und das als zeitweise sehr ungeduldige Zeitgenossin. Ich wusste nicht genau, wofür ich eigentlich anstand, aber es kam einiges auf mich zu. Ein Registration form, das genau die Informationen abfragte, die ich bei meiner Bewerbung für den Retreat bereits online im Formular eigegeben hatte. Zusätzlich wurden noch irrelevante Daten abgefragt, wie die Berufe meiner Eltern und die Anzahl meiner Geschwister. Sich meine Bewerbungsunterlagen auszudrucken war anscheinend nicht möglich gewesen, hätte hier aber eine Menge Zeit erspart. Allem voran aber meine Energie und meine Nerven.

Das Schweigen und der bulimische Schatten

Nach dem Übertrag der Formulardaten in ein Buch musste ich mich für ein Eintrittsgespräch anstellen, wobei sich wieder eine indische Dame vordrängelte und vor mir drangenommen wurde. Das war mein nächstes Ärgernis. Als ich dran war wurden mir wieder die Fragen gestellt, die ich bei meiner Bewerbung bereits ausgefüllt hatte. Natürlich gab ich auch hier meine Schlafmedikation an und dass ich in der Lage sei, trotzdem am Retreat teilzunehmen. Meine Essstörung verschwieg ich, stattdessen sprach ich über meine Depression und meine Sinnsuche im Leben. Was nicht weniger wahr ist, aber unvollständig und wichtiger wäre es gewesen über meine Ess-Brech-Störung Bescheid zu wissen angesichts der Tatsache, dass mir 10 Tage mit jeweils 3 Mahlzeiten bevorstanden, bei denen ich jeweils die Möglichkeit haben würde so viel zu essen wie ich wollte. Ohne dies vorher zu wissen, hatte ich für diesen Ort entschieden. Und da ich mich nicht wie in einer Essklinik oder einem Essprogramm fühlen wollte, hatte ich mein kleines Handicap verschwiegen. Natürlich vor allem deswegen, weil ich mich dafür tagtäglich in Grund und Boden schäme und mit dem was ich mir in diesem Leben damit geleistet hatte, fühlte ich mich dem Abschaum der Gesellschaft oft so nahe, dass es oft unaushaltbar war, mich unter „scheinbar“ normalen Menschen aufzuhalten. Immer drückte mir mein „bulimischer Schatten“ die Schultern hinunter, so dass ich nach außen wohl immer irgendwie geduckt erscheinen müsste.

Zufrieden in der Zelle

Irgendwann war es dann soweit, dass ich mein Zimmer erhielt; eine Betonzelle, unverputzt, mit einem einfachen Bett, einer Nische, die ich als Ablage verwendete und einem separaten Waschraum mit Toilette und Waschbecken. Dusche gab es hier keine, aber zwei Wasserhähne auf Kniehöhe und mehrere Schöpfer und Messbecher aus Kunststoff.
Was mich überrascht hatte, war, dass die Teilnehmerinnen des Retreats überwiegend Inderinnen waren. Im Speisesaal gab es drei langgezogene Tischreihen, an denen mehr als 200 Plätze mit Nummern ausgewiesen waren. Zum Abendessen sollten diese Plätze voll besetzt sein. Zusätzlich dazu nahmen Helferinnen indischen und ausländischen Ursprungs teil, eine von ihnen war Amy aus Taiwan, mit der ich mich gleich sehr gut verstand. Von den ca. 200 Frauen, die als Teilnehmerinnen beim Retreat dabei waren sicherlich nur 5 oder 6 in ihrer Nationalität westlich zu verorten oder kurz: Ausländerinnen.

Erfahre bald in Beitrag #7, wie mein Meditationsretreat für mich verlaufen ist und wie es danach weiterging. Da wir während der 10 Meditationstage kein Tagebuch schreiben durften, geht es im Blog bei Tag 11, am 2.1.2023, weiter.

Zum heutigen Thema: Der Geld-Hund an der Kette

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